01.06.2024
Designfaktor Verfügbarkeit
Christoph Müller erzählt im Interview welche tief verwurzelten Paradigmen, für eine Rückkehr zur Kreislaufwirtschaft, verworfen werden müssen.
Christoph Müller
Christoph Müller beschäftigt sich als Teil des Teams der Zirkular GmbH mit der Transformation zur Kreislaufwirtschaft und dem damit nötigen Umdenken im Planungs- und Bauprozess. Wie sehen diese Prozesse in Zukunft aus und wie schaffen wir es, aus einzelnen Leuchtturmprojekten anwendbare Rezepte für eine breite Umsetzung abzuleiten?
Die Rückkehr zur Kreislaufwirtschaft bedeutet Umdenken und die Abkehr von tief verwurzelten Paradigmen. Warum das schon in der Planungsphase von Projekten beginnt und wie sich die Denkweise von Architekt*innen verändern muss, erklärt Christoph Müller, Teil des Teams der Zirkular GmbH, im Interview.
Wie sieht der Planungsprozess im Sinne des kreislauffähigen Bauens mit wiederverwendeten Baukomponenten aus?
Christoph Müller: Am besten ist es hier bereits die Architekturentwürfe aus Vorstudien auf ihr Potenzial für Wiederverwendung zu prüfen. So kann ein Bauteilkatalog definiert werden, welcher im Vorprojekt verfeinert wird. Bauteilfunde können sofort auf die Umsetzbarkeit im Projekt geprüft werden oder das Projekt selbst kann auf die spezifischen Bauteilparameter angepasst werden. Dieser iterative Prozess verlangt ein Umdenken vonseiten der Architekt*innen. Es ist nicht mehr möglich, einen Entwurf bis zur Ausschreibung zu erarbeiten, für welchen dann einfach die benötigten Bauteile ausgeschrieben werden. Vielmehr folgt der Entwurfsprozess dem Prinzip „form follows availability“, sprich eine Grundidee der Architekt*innen muss mit dem Gefundenen umgesetzt werden. Das bedeutet in weiterer Folge, dass Bauherrschaften keine „Rendering Architektur“ mehr bekommen und verkaufen können.
Wie viel Aufwand steckt in der Aufbereitung von Komponenten, bis sie wiederverwendet werden können?
Am besten keiner. Die effizienteste Variante der Bauteilwiederverwendung ist eine direkte. So können am meisten Kosten und Emissionen eingespart werden. Dies ist gut möglich, wenn die Planer*innen dem Prinzip des „form follows availability“ folgen. Natürlich ist dies nicht immer umsetzbar, vor allem, wenn Bauteile nicht mehr den aktuellen Normen entsprechen oder leicht beschädigt sind. Generell gilt es festzustellen, in welchem Verhältnis die Kosten zur eingesparten Menge CO2-Emissionen stehen. Dann muss die Bauherrschaft entscheiden, welchen Wert sie bereit ist, für die Tonne eingespartes CO2 -Äquivalent zu zahlen. Auf rein ästhetische Aufbereitungen von Bauteilen wie das Umspritzen von Fassadenblechen sollte verzichtet werden, da hier der Impact oft in keinem Verhältnis zu den erhöhten Kosten und der Verringerung der CO2-Einsparung steht.
„Wiederverwendung ist kreative Logistik.“
Christoph Müller
Welche Rolle spielt bei der Wiederverwendung von Komponenten der Transport? Mitunter warten die Bauteile nicht um die Ecke.
Der Transport selbst lässt sich mit modernen Logistikunternehmen sehr gut umsetzen. Auch spielt er in der CO2-Berechnung eine vernachlässigbare Rolle. Problematisch wird es eher beim Ausbau der Teile und dem Zeitfenster, in welchem sie vor Abriss beschafft werden können. Am schwierigsten ist an dieser Stelle die Freigabe der Beschaffung durch die Bauherrschaft. Hier muss oft innerhalb weniger Monate oder Wochen ein Kaufantrag unterschrieben und die Kosten für Ausbau, Transport und Einlagerung gezahlt werden. Man könnte sagen: Wiederverwendung ist kreative Logistik. Dies ist speziell bei komplexen und schweren Bauteilen eine Herausforderung. Ziel ist es in Zukunft eine „Just-in-time“-Verfügbarkeit von Re-Use-Bauteilen herzustellen. Dazu bedarf es weiterer Kooperationen mit Fachpartner*innen aus dem Bau- und Logistikbereich.
In dem Leuchtturmprojekt „Kopfbau Halle 118 Winterthur“ wurden zu einem hohen Maß wiederverwendete Baukomponenten verbaut. Hat die Planung mit diesen aufbereiteten Baukomponenten auch eine Auswirkung auf die Finanzierungsorganisation, und wenn ja, welche?
Sie hat eine sehr wesentliche Auswirkung. Bei der Bauteilwiederverwendung muss spätestens mit Abschluss des Entwurfes ein Kredit für die Beschaffung von Bauteilen verfügbar sein.
Oft wird die Frage gestellt: „Was tun – Abriss oder Bestand erhalten oder sanieren?“ Wie lautet die Antwort aus ökologischer und CO2-bilanzieller Sicht?
Die bei der Erstellung eines neuen Gebäudes anfallenden Emissionen können selbst durch ein hohes Maß an Wiederverwendung und die niedrigste Betriebsenergie nicht mehr kompensiert werden. So stoßen beispielsweise die Sanierung und Erweiterung eines Wohngebäudes nur etwa ein Drittel der Emissionen eines vergleichbaren Ersatzneubaus aus.
Es bedarf eines Umdenkens in der Baubranche. Primäre Tragstrukturen aus massiven tragenden Materialien, wie Beton, Stahl oder Mauerwerk, müssen als gegeben betrachtet und sinnvoll weiterentwickelt werden. Sozusagen als Teil der Landschaft. Zusätzlich müssen Erstellungsemissionen, und darin eine Bewertung des Abrisses, dringend ein Teil der Energienachweise von Baubewilligungen werden. Dänemark ist hier ein Vorreiter.