Das Land Tirol hat die Zeichen der Zeit erkannt und im Maßnahmenprogramm der Tiroler Nachhaltigkeits- und Klimastrategie das kreislauffähige Bauen explizit in zwei Punkte genannt. Vorgestellt wurde das Programm von Landeshauptmannstellvertreterin und Klimalandesrätin Ingrid Felipe, die in ihrer Begrüßung auch betonte, wie wichtig es ist, dass das Thema Kreislaufwirtschaft konkret wird und auch in Tirol Fahrt auf nimmt.
Einleitend in die Thematik verdeutlichte Dr. Martin Stuchtey, Professor für Ressourcenstrategien und -management an der Universität Innsbruck, dass die Weltbevölkerung mit jährlich 12 Tonnen Material umgelegt auf die einzelne Person einen enorm hohen Ressourcenverbrauch hat. Dies kann auf Dauer und aufgrund der bereits bestehenden Ressourcenknappheit so nicht weitergeführt werden. Ein Wandel kann laut Stuchtey nur gelingen, wenn auf drei systemischen Ebenen eine Trendwende erreicht wird: durch die Energiewende, der Dematerialisierung und der Regeneration der Natur. Künftig wird der Verkauf von Nutzungen und nicht von Produkten der Schlüssel sein, um Ressourcen zu sichern und effizient zu nutzen.
Anschließend leitete DIin Anett Brandl, Expertin für Kreislaufwirtschaft bei Energie Tirol, auf die Baubranche über. Die derzeitigen Handlungsfelder für eine Kreislaufbauwirtschaft bestehen für PlanerInnen, Bauleute und Gemeinden vor allem darin, kreislauffähige Konstruktionen zu entwickeln, Materialpässe zu erstellen und bei einem Abriss diesen kontrolliert durchzuführen sowie die entnommenen Baustoffe oder Komponenten für eine Weiterverwendung sichtbar zu machen.
Überraschend war, dass der Bodenaushub verursacht durch unsere Bauvorhaben als nicht wiederverwendetes Material einen immensen Abfallanteil von 57% des gesamten österreichischen Abfallaufkommens übernimmt.
Architekt Thomas Romm, Architekturbüro forschen planen bauen ZT Wien und Mitbegründer der Plattform „Baukarussell“ bestätigt dies und äußerte dazu: „Wir müssen Boden wieder auf den Boden bringen und nicht auf die Deponie.“ und stellte klar: „Der Boden ist ein riesiger CO2-Speicher und die Kreislaufwirtschaft das Werkzeug für den Klimaschutz.“ Herr Romm präsentierte das „Wiener Modells“, welches beim Bau der Seestadt Aspern erprobt wurde. Hier konnte die Kreislaufwirtschaft direkt vor Ort auf der Baustelle umgesetzt werden. Bodenaushub und Beton wurde vor Ort aufbereitet und erzeugt und damit der Baustellenverkehr um 80 % reduziert.
Er betonte zudem, dass der Bedarf an Ressourcen derzeit dreimal so groß ist, wie in der Kreislaufwirtschaft zur Verfügung steht. Es reicht somit nicht, nur die Kreisläufe zu schließen, wir müssen den Ressourcenverbrauch aktiv verringern, bis 2030 um 25 % und bis 2050 um 50 %.
Als Mitbegründer des Baukarusells entwickelte der Architekt eine Plattform, die als Sozialprojekt konzipiert wurde und neue Wertschöpfungsmodelle schafft. Dabei werden Wertstoffe durch manueller Arbeit aus dem Gebäude entnommen und für zukünftige Projekte zur Verfügung gestellt.
Passend dazu veranschaulichte Architekt Christoph Müller vom baubüro in situ ag in Zürich, dass eine Planung zukünftig auch mit Wertstoffen und Bauteilen aus dem Urban Mining funktionieren kann. Er formuliert den bekannten Terminus „Form follows function“ in „Form follows availability“ um. Dies erfordert jedoch die Bereitschaft zu einer Änderung in den Planungsprozessen. Es sind dann Flexibilität und Adaptierbarkeit während der Entwurfs- und Planungsphase gefragt.
Zudem erfordert das Bauen im Kreislauf laut Müller mitunter den Bedarf einer früheren Finanzierung als es bei einer heutigen „konservativen“ Planung üblich ist. Ursache ist zum einen die Notwendigkeit des Erwerbs von Baukomponenten aus anderen Bestandsgebäuden zum Zeitpunkt ihrer Verfügbarkeit und zum anderen deren Lagerung. Interessant war die Aussage, dass möglicherweise mit einer Kompensationszahlung für das nicht Verwenden von Urban Mining Baukomponenten den Mehrkosten entgegengewirkt werden könnte.
Müller spricht auch klar das Thema Bauen im Bestand an und verdeutlicht, dass „der beste Ersatzneubau immer schlechter als eine Sanierung ist“. Das Potential der CO2-Emissionsverringerung durch Belassen des Bestands ist groß. Das konnte das Baubüro in situ anhand eigener Projekte prüfen und bilanzieren. „Der Bestandserhalt muss attraktiver sein als der Neubau.“ Mit dieser Aussage verweist Müller auf die Politik und Finanzmärkte. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die mit Garantien und Haftungen einspringen, um das Risiko für Investoren zu senken.
Ein weiteres Beispiel aus der Urban Mining Praxis erzählte Lore Amel von Concular Berlin. Heute wird nur rund 1% der Materialien wieder genutzt. Die Plattform Concular setzt sich zum Ziel, diesen Anteil zu erhöhen. Der Ablauf, um Baumaterialien möglichst eins zu eins weiter zu verwenden, erfolgt dabei in drei Schritten: Bestandserfassung, Vermittlung und Bilanzierung der CO2-Einsparungen.
Architekt Christian Hammerl, he und du ZT GmbH in Innsbruck zeigte in vielen umgesetzten Architekturbeispielen, dass das Bauen im Kreislauf auch in Tirol angekommen ist. Aus dem Beweggrund „alte“ Baukomponenten als Wertstoff und nicht als wertlos anzusehen und mit dem Antrieb, Altes mit Neuem zu verbinden, arbeitet das Architekturbüro schon seit langem intuitiv in diesem Themenbereich. Das Architektenduo schenkt dem Bestand damit eine besondere Wertschätzung.
Matthias Kaufmann, Geschäftsführer der kaufmann zimmerei und tischlerei gmbh in Reuthe, Vorarlberg hat mit dem Forschungsprojekt „UMAR Nest“ in Dübendorf Schweiz gezeigt, dass es möglich ist, eine „neue“ Wohneinheit nahezu vollständig aus wiederaufbereiteten Materialien und komplett rückbaubar zu errichten. Vor allem der Holzmodulbau bietet sich hier an. Spannend war auch die Aussage, dass reversibel Holzverbindungen geschraubt sind und nicht genagelt. Herr Kaufmann spricht zusätzlich ein sehr wichtiges Thema an: Die Sortenreinheit der Baustoffe. Nur so kann am „End of Life“ das Zurückführen der Baukomponenten in den industriellen Kreislauf gelingen.
Fazit
Es waren sich alle einig: wir stehen am Anfang und alle sind gefragt. Es braucht Anreize und Vorgaben von EU, Bund und Land, Schärfungen und Überprüfungen vorhandener Normen und schlussendlich kreative sowie mutige PlanerInnen sowie Bauleute.
Jeder kleinste Schritt im Sinne der Kreislaufwirtschaft ist ein richtiger und wichtiger Schritt, um das Große zu erreichen: